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DOKUMENTARFILM - Kremser Hasenjagd
Unter dem Titel »Kremser Hasenjagd« haben Gerhard Pazderka und Robert Streibl einen in jeder Hinsicht gelungenen Dokumentarfilm über eines der vielen dunklen Kapitel der österreichischen Geschichte unter der Herrschaft des Nationalsozialismus erarbeitet.

Von LUTZ HOLZINGER.
Gerhard Pazderka und Robert Streibl erinnern mit ihrem Werk daran, dass im April 1945 - wenige Tage vor dem Zusammenbruch des Nazi-Regimes und dem Ende des Zweiten Weltkriegs am 8. Mai in Europa - in Krems und Umgebung hunderte politische Häftlinge, die aus der Strafanstalt Stein entlassen worden waren, von Justizwachebeamten, SS-Soldaten, Volkssturmmännern und Napola-Schülern ermordet worden sind. Die Bluttaten ereigneten sich in der Justizanstalt selbst; zahlreiche Entlassene wurden in Umlandgemeinden von Krems wie Hadersdorf am Kamp oder Paudorf-Göttweig offenkundig unter Mitwirkung und auf Initiative der ortsansässigen Bevölkerung willkürlich umgebracht.

Kampf um ein Denkmal
Die Ereignisse werden in Interviews mit Zeitzeugen rekonstruiert und mit einer Dokumentation des Kampfes um ein Denkmal für die nachweislich in Haderdorf am Kamp umgekommen 61 Opfer ergänzt. Das Gesamtereignis ist historisch verbürgt, im Detail aber bis heute nicht aufgearbeitet. Die Leichen zahlreicher Opfer sind an unbekannten Orten verscharrt. Und die Gemeinde-Spitze von Hadersdorf hat sich jahrelang geweigert, der Forderung nach Errichtung eines Denkmals gerecht zu werden. Als es schließlich zur Enthüllung einer Tafel kommt, parliert der ÖVP-Bürgermeister über Massaker an der Bevölkerung zur Zeit des Dreißigjährigen Kriegs und empört sich über die Kritik, dass im Text der Tafel bei der Bezeichnung der Opfer auf ihren Status als POLITISCHE Häftlinge »vergessen« wurde. Der Hinterbliebenen eines der Opfer wird das Wort abgeschnitten, als sie öffentlich darauf aufmerksam macht.

Die Dokumentation beschränkt sich darauf, die verfügbaren Fakten nüchtern zu vermitteln. Darin besteht ihre große Stärke: Die Entrüstung über das Geschehen wird nicht mitgeliefert. Vielmehr wird es dem Publikum überlassen, seine eigenen Schlüsse zu ziehen. Interessant erscheint der Verweis darauf, dass 1946 vierzehn Justizwachebeamte und ein Volkssturmkommandant wegen Mordes vor Gericht gestellt wurden. Das Volksgericht in Wien sprach fünf Todesurteile, fünf lebenslängliche und eine dreieinhalbjährige Haftstrafe aus. Spätestens 1954 befanden die zu Haftstrafen Verurteilten sich wieder auf freiem Fuß; zwei der Männer haben später Selbstmord begangen.

Nennt uns nicht Menschen...
Auf der Homepage von Ö1 werden die Fakten folgendermaßen zusammengefasst: »Im April 1945 wurden rund um Krems in Niederösterreich 386 kurz zuvor freigelassene Insassen der Strafanstalt Stein auf Befehl der NSDAP-Kreisleitung gejagt und umgebracht. Unter den Opfern war der Großvater von Filmemacher Gerhard Pazderka. Am 6. April 1945 lässt der Direktor des Zuchthauses Stein in Niederösterreich das Gefängnis räumen. Hunderte Häftlinge sollten entlassen werden, die genaue Zahl ist unbekannt, unter ihnen befinden sich griechische Widerstandskämpfer und politische Gefangene. Sie kommen nicht weit: Regimetreue Justizbeamte alarmieren die örtliche NSDAP-Führung. Etwa die Hälfte der Häftlinge wird noch im Gefängnishof ermordet, der Rest wird in der Umgebung verfolgt, zusammengetrieben und dann erschossen. Bis zum Abend des 7. April 1945 werden mindestens 386 Menschen ermordet. Nur wenige haben diese Hetze überlebt.

Im Rückblick fragt man sich, was Menschen in der bereits ausweglosen Lage des Naziregimes veranlasst hat, unschuldige und wehrlose Opfer zu massakrieren. Will man sich nicht mit dem Gemeinplatz  begnügen, der Mensch sei des Menschen Wolf, muss man zur Erkenntnis kommen, dass es jeweils menschenverachtende Rahmenbedingungen und die Angst vor dem eigenen Untergang sind, die derartige grauenhafte Taten hervorbringen. Auch für diesen Fall gilt Jura Soyfers Verszeile: »Nennt uns nicht Menschen, wartet noch damit!« Leider sieht es derzeit so aus, dass wir dafür noch einige Zeit ausharren müssen... 

DVD ab Herbst zum Preis von 15 Euro; Bestellungen unter www.kremser-hasenjagd.at. Bis Ende August Subskriptionspreis von 10 Euro.

06/2011 VOLKSSTIMME